An der Bernsteinstraße in Heumaden schafft sich eine Baugemeinschaft ein Zuhause. Projekte wie dieses sind bisher die Ausnahme in der Stadt Stuttgart. Die gute Nachricht für alle, denen die Idee gefällt: Es gibt noch freie Plätze.

Klima & Nachhaltigkeit: Judith A. Sägesser (ana)

Heumaden - Es ist ein Experiment. Ein Experiment fürs Leben. Während Klaus Pfaffenzeller erzählt, wie er in Zukunft wohnen will, sitzt er bei Cappuccino und Croissant in einem Café im Stuttgarter Westen. Klaus Pfaffenzeller, seine Frau und sein dreijähriger Sohn leben gleich ums Eck. Seit gut zwei Jahrzehnten. „Das ist hier eine sehr schöne Gegend“, sagt der hagere Mann mit der Brille. Und trotzdem sind die Tage der kleinen Familie in dem Stuttgarter Innenstadtbezirk gezählt. Die Pfaffenzellers haben Größeres vor – in Heumaden an der Bernsteinstraße.

 

Eine Ecke ist für die Baugemeinschaft reserviert

In dem Wohngebiet „Über der Straße“, das ab Ende der 1970er-Jahre retortengleich aus dem Heumadener Boden gestampft worden ist, entsteht zurzeit ein neues Quartier. Das Siedlungswerk Stuttgart baut sieben Wohnhäuser gegenüber der neuen Kindertagesstätte an der Bernsteinstraße, die Bagger und Kräne sind bereits im Einsatz. Ein Eck des Grundstücks – 2000 Quadratmeter groß – ist für eine private Baugemeinschaft reserviert. Und zu der gehört eben unter anderem Klaus Pfaffenzeller mit seiner Familie.

Die Heumadener Gemeinschaft ist keine, die zusammen baut, und nachdem der Umzugswagen wegfahren ist, zieht jeder flugs seine Tür hinter sich ins Schloss. Im Gegenteil. Klaus Pfaffenzeller und den anderen schwebt vor, was bisher eher zu den Raritäten gehört: eine Art Lebensgemeinschaft. Was das genau bedeutet, wird sich in den nächsten Wochen herauskristallisieren. Für den Anfang ist klar: „Wir wünschen uns eine gute, lebendige Nachbarschaft“, wie Klaus Pfaffenzeller sagt. „Die Bereitschaft sich kennenzulernen, das ist eigentlich schon alles.“

Das Heumadener Projekt ist bisher die Ausnahme

Die ersten Baugemeinschaften gab es in Stuttgart in den 1980er-Jahren. So wurde beispielsweise die Schnapsfabrik im Heusteigviertel oder die Nudelfabrik in Rohracker nach einem solchen Konzept umgebaut. Unter dem Strich sind Baugemeinschaften in der Landeshauptstadt eher rar. Das Projekt in Heumaden ist also bisher die Ausnahme, wie Michael Kunert sagt. Er arbeitet bei der Stadt als Kontaktmann für an Baugemeinschaften Interessierte. „Städte wie Tübingen und Freiburg sind da schon weiter“, sagt er. Die Stuttgarter Stadtplaner würden schon lang an solchen Konzepten arbeiten. „Das Thema schwelt seit Längerem.“ Was die Idee angehe, „herrscht nun so ein bisschen Aufbruch“, sagt Kunert. Dem Beispiel in Heumaden soll ein Projekt auf dem Areal des Olga-Hospitals in der Innenstadt und an der Hechinger Straße in Möhringen folgen. „Und man hat auch weitere Gebiete im Blick“, wie Michael Kunert sagt.

Im Herbst 2012 hatte der Gemeinderat einen Grundsatzbeschluss gefasst. Demnach verkauft die Stadt Grundstücke nicht an jene Baugemeinschaft, die am meisten Geld bietet, sondern an die mit dem besten Konzept. In Heumaden hat die Stadt dieses Prinzip erstmals angewandt. Es hatten sich drei Gemeinschaften beworben, die um Christa Widmaier-Berthold und Klaus Pfaffenzeller hat letztlich überzeugt.

Familien, Ehepaare im fortgeschrittenen Alter, Singles und behinderte Menschen sollen an der Bernsteinstraße Tür an Tür wohnen; sie kennen sich, wissen um die Sorgen des Nachbarn und teilen die Freuden; sie treffen sich im Hof, hüten die Kinder der anderen, feiern vielleicht Silvester zusammen, haben ein gemeinsames Gästezimmer – aus Klaus Pfaffenzeller und Christa Widmaier-Berthold sprudeln die Ideen nur so. Das meiste werde sich mit der Zeit ergeben. Wenn das grundsätzliche Interesse da ist, „dem anderen zu begegnen“, sagt Christa Widmaier-Berthold.

Christa Widmaier-Berthold und Klaus Pfaffenzeller haben Großes vor. Foto: Sägesser

Es gibt noch freie Plätze

Die 70-jährige Sillenbucherin wird mit ihrem Mann einziehen. Sie leben seit zwei Jahrzehnten an derselben Straße im Stadtbezirk. Dort sei es schön, sagt sie. Aber fürs Alter wünscht sich das Ehepaar etwas anderes, etwas, von dem die beiden heute nur eine Ahnung haben, wie es sein könnte. „Für Erwachsene ist es schön, andere Erwachsene kennenzulernen“, sagt Christa Widmaier-Berthold. In vielen Siedlungen bleibe es dem Zufall überlassen, ob sich Nachbarn über den Weg laufen. Das Leben sei oft anonym, sagt Klaus Pfaffenzeller. Das wollen sie anders.

Für ihre Gemeinschaftsidee haben sie Plätze frei. In den zwei Gebäuden werden etwa 20 Parteien wohnen, zwölf Parteien haben sich der Gruppe bereits angeschlossen. In den nächsten Wochen lädt die Baugemeinschaft regelmäßig zu Kennenlerntreffen ein – bis sie komplett ist.

Die Genossenschaft Bau- und Heimstättenverein wird die Hälfte der Wohnungen bauen und vermieten. Der Rest entsteht unter der Regie privater Bauherren. In Stuttgart zu bauen ist teuer – und wird immer teurer. Dennoch ist Klaus Pfaffenzeller zuversichtlich, dass sie ihr Eigenheim vergleichsweise günstig erwerben. „Indem man Luxus und Schnickschnack weglässt“, sagt er und meint das Grundgerüst. Die eigene Wohnung könne ja jeder, je nach Geschmack und Geldbeutel, gestalten.

Infos für Interessenten

Interesse?
Die Baugemeinschaft sucht noch Leute, die gern in einem offen nachbarschaftlichen Verhältnis leben würden. Die Gruppe lädt regelmäßig zu Kennenlerntreffen ein. Wer sich dafür interessiert, wendet sich am besten an Christa Widmaier-Berthold, ihre E-Mail-Adresse ist mcberthold@t-online.de.

Bei der Stadt gibt es eine Stelle, bei der sich alle melden können, die sich fürs Thema Baugemeinschaft interessieren. Die Telefonnummer lautet 2 16-2 00 07